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TIMM ULRICHS
Daniel A. Schacht: Unterschiedliche optische Erlebnisse

Es gehört zu seinen »zehn wichtigsten Arbeiten«: Das Kunstwerk »von null bis unendlich« des Totalkünstlers Timm Ulrichs an der Nordseite der Marktkirche wurde jetzt eingeweiht. Die Null steht dabei für den historischen Charakter, das historische Fundament der Stadt, das Unendlichkeitszeichen symbolisiert die Zukunft. Das Kunstwerk, so der Künstler, ermöglicht unterschiedliche »optische Erlebnisse«.

Die Skulptur: Eine durchgezogene Linie aus Edelstahl formt das Unendlichkeitszeichen und verwandelt sich dann in eine Null. Je nach Standort steht der Betrachter dem Nichts oder der Unendlichkeit gegenüber. Entsprechende Standpunkte, von denen aus man das gut sehen kann, sind in der Pastorenstraße beziehungsweise auf Höhe der Rats Apotheke markiert. Eine in den Boden eingelassene Motorik hält die Skulptur in Bewegung mit 0,7 Umdrehungen pro Minute.
Für einen Wettbewerb in Freiburg hat sich Ulrichs vor mehr als 30 Jahren mit »unterschiedlichen optischen Erlebnissen« beworben – aus der Null entwickele sich unerwartbar das Unendliche, bekräftigt er. Statt eines »Entweder-oder« setzt er auf ein »sowohl… als auch« – das soll mit der »Denkfigur« gelingen, wünscht sich der Künstler, der dankbar ist, dass er die Realisierung des Kunstwerks noch erleben kann.

Die Umsetzung sei technisch sehr aufwendig gewesen, berichtet er weiter. In einer 25-er Auflage hat er das Kunstwerk in Miniatur herstellen lassen, gerne hätte er es seinen Förderern überreicht, doch die Miniaturen sind noch nicht signiert. Die fast fünf mal fünf Meter große Skulptur in der Innenstadt, die in der Dunkelheit beleuchtet wird, soll den Platz mitbestimmen, aber der Platz wirke auch mit dem Kunstwerk, ist sich der 78-Jährige sicher.

Ulrichs ist ein selbst ernannter »Totalkünstler«, dem es um die Vereinigung von Kunst und Leben geht. Seine Kunst orientiert sich häufig an alltäglichen Phänomenen, die er analysiert. Er übersetzt Widersprüche oder Wortspiele in Skulpturen, Gemälde und Aktionen und nutzt seine Kunst zur besseren Einsicht und Klarsicht des Betrachters.

In Ulrichs Arbeit lässt sich die von ihm angestrebte Verbindung zwischen Kunst und Leben sehen. In diesem Zusammenhang ist die für die Altstadt konzipierte Skulptur eine Fortführung seines Credos: »Kunst ist Leben, Leben ist Kunst«. Die Installation entstand als Gemeinschaftsprojekt mit Schülern der Paul-Gerhardt Schule in Dassel und der Einbecker Goetheschule. Sie hatten die Gelegenheit, Ulrichs bei der Realisierung zu begleiten, sich kreativ mit ihm auszutauschen und ästhetische Erfahrungen zu sammeln.

Günter Dietzek, der das Projekt vorangetrieben hat, freute sich, dass das »mutige, moderne Kunstwerk« nach fast vier Jahren nun in Betrieb genommen werden konnte. Das Wesen der Stadt werde – wie beim Kunstwerk »Mobilität« von Hans-Oiseau Kalkmann am PS. Speicher – durch die Sprache der Kunst sichtbar gemacht werden, so Dietzek weiter. Neben dem gesetzten Künstler habe die Skulptur ein zweites Element – den Einbezug junger Menschen, die Interesse an der Stadt und der Kunst haben.

Das geschaffene Kunstwerk »von null bis unendlich« symbolisiere die unverzichtbare Tradition der Stadt, aber auch die lebendige Zukunft. Den Totalkünstler zu erleben, sei ein »unvergessliches Erlebnis« gewesen. Dank gelte dem Konstrukteur Axel Rößling, denn Ulrichs gab zu, handwerklich nicht sonderlich geschickt zu sein. Für das Kunstwerk bedankte sich Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek im Namen der Bürger der Stadt.

Entstanden sei »Passgenaues«. Deutlich werde, dass es im Leben immer auf den Blickwinkel ankomme. Die Realisierung ist der Initiative der Bürgerstiftung Einbeck zu verdanken und wurde durch Unterstützung von AKB Stiftung, Bürgerstiftung Einbeck, Kultur- und Denkmalstiftung des Landkreises Northeim, einer Vielzahl von Einbecker Bürgern sowie der Zukunftsstiftung Jugend, Umwelt und Kultur möglich.

Timm Ulrichs Werk umfasst Malerei, Skulptur, Fotografie, Videokunst, Performance und konkrete Poesie. Er übt einen besonderen Einfluss auf die zeitgenössische Kunst aus und greift schon früh Entwicklungen auf, die später als Strömungen wie Konzeptkunst, Happening oder Aktionskunst den Kunstdiskurs bestimmen.

Die eigene Person und das eigene Künstler-Ich stehen im Zentrum seiner Arbeiten. Mit der Arbeit »Kopfsteinpflaster«, bei der er Straßensteine gegen Betonabgüsse seines eigenen Kopfes ersetzte, fordert er die Seh- und Denkgewohnheiten des Betrachters heraus und eröffnet so neue Perspektiven.

Ulrichs, der bei der documenta 6 vertreten war, will starre Denkmuster und Regeln aufbrechen und alternative Handlungs- und Freiräume für Kunst und Leben aufzeigen. Übrigens: Bereits 1960 war Ulrichs in Einbeck, damals als Student zum Aquarellieren.