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GREGOR HILDEBRANDT
Auf dem Flohmarkt mit Gregor Hildebrandt
www.monopolmagazin.de

22.10.2018

Hans Bussert geht selbst gerne einkaufen, sehr gerne sogar. Weil er aber gar nicht so viel braucht, wie er kaufen könnte, begleitet er für uns jeden Monat Konsumwillige beim Shoppen. Im Sommer war er mit dem Künstler Gregor Hildebrandt auf dem Flohmarkt.

Drei Euro für eine Roland-Kaiser-Kassette? Ihm geht es ja nicht um die Aufnahme, sagt Gregor. Obwohl “Schachmatt”, ein Kaiser-Hit von 1979, natürlich ganz passend sei. Gregor Hildebrandt stimmt mich auf unseren bevorstehenden Flohmarktbummel ein. Wir haben Gnocchi und Löwenzahnsalat gegessen (sehr bissfest) und gehen in Richtung Arkonaplatz-Flohmarkt.

Als Gregor Hildebrandts Personal Shopper hatte ich mich darauf vorbereitet, viele Kassetten tragen zu müssen. Zwei Nylonbeutel habe ich dabei, um darin BASFs, Maxells und andere Tapes zu verstauen. Der kunstmäßig wahrscheinlich größte Verwerter von analogen Datenträgern soll in Ruhe stöbern können. Es kommt anders, schon allein deshalb, weil Gregor hauptsächlich Schachfiguren kaufen will.

Schach ist das andere große Thema von Gregor Hildebrandt. Bereits beim Mittagessen erzählte er von Partien mit seinem Freund, dem ehemaligen Filmproduzenten Hanno Huth, anonymen Schnellschach auf Chess.com und dem “Pawn-Shop“, für den er Figuren braucht. Es sind aber nur die Bauern, die in seiner Installation in der Weinbar Freundschaft ausgestellt werden sollen.

Gleich am ersten Stand: drei Schach-Sets. Zwei Kästen aus Holz und ein Reiseschach für je fünfunddreißig, achtundzwanzig und zwölf Euro. Gregor handelt mit der Verkäuferin und bekommt sie zum Komplettpreis: sechzig Euro. Ob sie viele Schachsets verkauft? “Im Herbst verkaufe ich mehr.” Das hört man gern. Zumindest Gregor, der ein bisschen grinsen muss.

Am selben Stand entdeckt er noch eine Marmorkugel. Ein Geschenk für die Freundin. Wohl ist ihm aber nicht dabei: Gregor hat Angst, in einen Kaufrausch zu fallen und warnt: “Wir müssen aufpassen!” Dann sieht er eine zitronenförmige Eieruhr. Drei Euro fünfzig. Die Angst vor zu viel Flohmarkteuphorie ist vergessen und der Künstler froh, zum Eierkochen nicht mehr sein Handy benutzen zu müssen. Wobei, so Gregor, perfekt zum Eierkochen ist doch eigentlich immer “Theresa’s Sound World” von Sonic Youth. (Hinweis: Das Lied ist 5:27 lang, die Eier werden also eher weich.)

Von einem der nächsten Stände klingt nun tatsächlich ein bisschen Musik. Wir lachen noch einmal über den schönen “Im Herbst”-Spruch der Verkäuferin, während Gregor seine Einkäufe sortiert. Er wirkt jetzt tatsächlich ein wenig aufgekratzt. Dann stehen wir vor dem portablen Plattenspieler und ich frage mich, ob ich meine Rolle als rein passiver Tütenträger aufgeben sollte, um Patti Smiths “Wave” zu kaufen. Ich überlege noch, als Gregor schon “Muss ich haben” ruft. Gregor nimmt außerdem David Bowies “Stardust” dazu. Kraftwerks “Autobahn”, eine Originalpressung von 1974, kommt allerdings nicht mit – “läuft besser im Herbst”.

Es folgen weitere Einkäufe: Darunter viele Schachfiguren – von einem Set nimmt Gregor nur die Bauern: Er möchte weiteren Beifang in Form von Brettern und Offizieren vermeiden – und eine Ausgabe von “Text + Kritik”. Wir treffen einen Bekannten, der erzählt, er hätte gerade länger in Warschau gelebt. Gregor beneidet ihn nicht: “Ein graues Monster” findet er. Am nächsten Stand lässt er den Blick schweifen: ein Radio in “Radio”-Form, ein paar Platten, ein Braun-Rasierer. Doch Gregor kauft nichts.

Einen Stand weiter – hier gibt es Spielzeug – bleibt Gregor wieder stehen, aber kauft nichts. Reißt der Kaufrausch etwa ab? Ist all die schöne Euphorie verflogen? “Ich habe das Gefühl, schon ganz viel gekauft zu haben.” Wir müssen trotzdem noch die letzten beiden Gänge ablaufen. “Das muss man systematisch machen. Wir dürfen nichts verpassen.”

Gregor ist kein Trödeltrödler. Er geht die Reihen zielstrebig ab und verweilt nie lange an einem Stand. So auch in der vorletzten Reihe, in der wir abwechselnd nach links und rechts schwenken, um sie nur einmal ablaufen zu müssen. Trotzdem: Er spürt meine nachlassende Begeisterung: “Hast du noch Bock?” Es geht hier nicht um mich, also versichere ich ihm meine unbedingte Motivation. Wie um meinen Durchhaltewillen zu belohnen, kauft er auf der Stelle noch ein paar Glühbirnen – außer der Reihe. Denn eigentlich ist dafür seine Freundin zuständig. “Die kennt sich damit besser aus.”

Auch Gregor scheint plötzlich nicht mehr so interessiert. Sein Stoffbeutel ist voll, meine Taschen sowieso. Ein Stand im letzten Gang kann ihn aber noch einmal begeistern. Hier werden Musikkassetten angeboten und Gregor legt sofort los. Bietet einen Euro für drei. Dann drei für drei. Der Händler will aber für zwei drei Euro haben. Überhaupt wirkt er genervt von Gregors Enthusiasmus. Also kauft Gregor vier für sechs. Die vierte direkt aus dem Rekorder. Aus Rache – weil der Verkäufer so unfreundlich war. Eine “Strafmaßnahme” nennt Gregor das und bekommt sofort ein schlechtes Gewissen. Auch weil nun die Musik aus ist, zumindest an diesem Stand.

Es ist geschafft: Gregor hat genug. Also schlendern wir los zum Weinbergsweg, zu seiner Wohnung. Im Park treffen wir den Fotografen Christian Werner. Auch er ein Schachfan, wie sich herausstellt – bis zu 20 Partien täglich auf Chess.com. Die beiden vergleichen ihre Elo-Werte und tauschen Nutzernamen. Als wir vor Gregors Haus stehen, frage ich ihn, wie es ihm geht – hat er eine Post-shopping-Depression? Im Gegenteil: Er ist sehr glücklich mit seinen Flohmarktkäufen. Ich komme noch kurz mit hoch. Gregor legt Patti Smith auf und beginnt mit dem Dekorieren.

Gregor Hildebrandt ist auch Teil eines Roundtables über Kunst als sinnvollste sinnlose Sache der Welt in der aktuellen Ausgabe von Monopol

Aktuelle Ausstellungen: “Ein Zimmer im Raum”, Wentrup Berlin, bis 3. November / “Tönend hallt die Jugend”, Kunsthalle Recklinghausen, bis 18 November